Befristet beschäftigt und zeitweise ohne Job: Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) steigt in den Sommerferien die Zahl arbeitsloser Lehrkräfte. Für die GEW Anlass zu scharfer Kritik.
Referendariat, einige Jahre im Ausland, dann zurück ins heimische Baden- Württemberg – doch dort gab es für die inzwischen 39 Jahre alte Grund- und Hauptschullehrerin, die namentlich nicht genannt werden will, nur einen befristeten Vertrag. Die Arbeit mit ihrer Inklusionsklasse laufe bestens, berichtet die Pädagogin, nur eines mache ihr Sorgen: „Keiner kann mir sagen, ob ich die Klasse auch im kommenden Schuljahr weiterführen darf.“ Die Zitterpartie endet erst wenige Tage vor den Sommerferien: Ja, es gibt einen neuen Vertrag – allerdings erst im Herbst und erneut befristet. Für die sechs Wochen Ferienzeit ist die Frau ohne Job, ohne Verdienst. Kein Einzelfall: Über 2 000 Lehrerinnen und Lehrer meldeten sich 2015 allein in Baden-Württemberg in den Ferienwochen zusätzlich arbeitslos, teilt die BA in einer Studie* mit – die GEW spricht sogar von knapp 3 000 Betroffenen: „Längst nicht alle melden sich beim Arbeitsamt“, sagt der Geschäftsführer der GEW Baden-Württemberg, Matthias Schneider. Für die Bundesagentur ist die saisonale Arbeitslosigkeit seit Jahren ein Ärgernis. Die kritisiert: „Es ist nicht Aufgabe der BA, die Sozialkosten der Länder zu tragen“, so Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Bildung und Weiterbildung. Man könne „fast von einem Missbrauch der Sozialkassen“ sprechen.
Ausmaß nimmt zu
Trotz öffentlicher Kritik „nimmt das Ausmaß tendenziell seit 2010 zu“, stellt die BA fest. So gab es im vergangenen Jahr rund 7 000 Pädagoginnen und Pädagogen, die sich zusätzlich zur normalen Fluktuation zu Ferienbeginn arbeitslos gemeldet hatten. 2014 waren es nach Angaben der Agentur 6 300 Lehrkräfte, 2012 rund 5 500. Betroffen sind häufig Referendarinnen und Referendare. Aber auch erfahrene Lehrkräfte hangeln sich mit Fristverträgen, die pünktlich zu Beginn der Schulferien enden, von Jahr zu Jahr. Aktueller Spitzenreiter ist mit deutlichem Abstand Baden- Württemberg, gefolgt von Hessen. Hier haben sich im vergangenen Sommer zusätzlich 1 000 Lehrkräfte arbeitslos gemeldet.
„Teilweise erklärt sich das schlicht mit der Größe der Länder und damit der Zahl an Lehrkräften insgesamt“, so Schneider. Doch der Jahresvergleich zeigt deutliche Unterschiede zwischen Unterrichtszeiten und Ferien: So liegt die Lehrerarbeitslosigkeit in Baden-Württemberg während der Unterrichtsmonate praktisch bei Null. Im Juli springt der Wert schlagartig nach oben – Jahr für Jahr. Ähnlich groß fallen die Unterschiede zwischen Unterrichts- und Ferienzeit in Rheinland-Pfalz oder Hessen aus. Auf der anderen Seite stehen die ostdeutschen Bundesländer einschließlich Berlin: In Mecklenburg- Vorpommern etwa gibt es zwar insgesamt weniger Lehrkräfte, das allein erklärt jedoch nicht, warum sich zu Beginn der Sommerferien dort nur einige wenige – 100 waren es in 2015 – neu bei der BA arbeitslos meldeten. In Berlin gab es im vergangenen Sommer gegenüber 2014 sogar einen Rückgang arbeitsloser Lehrkräfte. Das schaffte in einem westlichen Flächenland im vergangenen Jahr einzig Schleswig- Holstein: Hier waren lediglich 140 Lehrkräfte zusätzlich arbeitslos, 70 weniger als im Vorjahr.
„Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir bei dem Thema öffentlichen Druck gemacht haben“, unterstreicht Astrid Henke, Vorsitzende der GEW Schleswig-Holstein. Im Sommer 2013 befasste sich der Kieler Landtag mit dem Problem der Saisonarbeitslosigkeit. Auslöser waren Lehrkräfte, die Hartz IV beantragen mussten, weil sie nicht zwölf Monate Arbeitslosengeld eingezahlt hatten. In der Parlamentsdebatte fasste Anke Erdmann von den mitregierenden Grünen knapp zusammen: „Befristete Arbeitsverträge an Schulen sind dumm. So einfach ist das.“ Allerdings wies Kai Vogel (SPD) darauf hin, dass eine Stelle nicht doppelt besetzt sein könne, „wir müssten sonst Herzinfarkte beim Landesrechnungshof in Kauf nehmen“. So müsse ein Vertretungslehrer seine Stelle aufgeben, wenn der Inhaber zurückkomme – und das passiere fast immer mit Ferienbeginn oder -ende. Vogel verurteilte allerdings die Praxis, eine Lehrkraft bis zum letzten Arbeitstag zu beschäftigen und diese dann nach sechs Wochen auf die gleiche Stelle zurückzuholen.
Hier setzt das SPD-geführte Kieler Bildungsministerium an: Es definiert einen bereits bestehenden Vertretungsfonds neu, so dass Mittel „als Basis für unbefristete Einstellungen genutzt werden dürfen“, so Ministeriumssprecher Thomas Schunck. Ein Teil der Vertretungslehrkräfte könne daher nach etwa zwei Jahren auf eine Planstelle wechseln. „Wir unternehmen erhebliche Anstrengungen, möglichst vielen befristet beschäftigten Lehrkräften eine dauerhafte Perspektive im Schuldienst des Landes zu eröffnen“, so Schunck.
Auch in Baden-Württemberg protestiert die GEW lautstark, nur fand der entscheidende Durchbruch hier noch nicht statt. Kettenverträge, jeweils befristet vom ersten bis zum letzten Schultag bleiben gängige Praxis: „Die Laufzeit ist längst auf die Unterrichtszeit des Schuljahres ausgelegt“, hieß es 2000 auf eine „Kleine Anfrage“ der damals oppositionellen Grünen zu den Fristverträgen. Im Herbst 2015 – unter der grün-roten Landesregierung – lehnte der Petitionsausschuss des Landtags den Wunsch einer Lehrerin ab, nahtlos weiterbeschäftigt zu werden. „Die Durchzahlung der Sommerferien kann nicht angeboten werden“, heißt es in der offiziellen Antwort. Diese Praxis sei „allgemein üblich“.
Um die hohe Saisonarbeitslosigkeit zu erklären, verweist Ministeriumssprecher Benjamin Godde auf die Größe und Attraktivität seines Landes: „Vielleicht bewerben sich viele Lehrkräfte aus anderen Bundesländern?“ Und ja: Die Kettenverträge gebe es – aber auch „intensive Bemühungen, das zu ändern“. Allerdings habe das Kultusministerium unter Andreas Stoch (SPD) in den vergangenen Jahren „viele andere Reformen und die Haushaltskonsolidierung“ bewältigen müssen. Immerhin: Für die kommende Legislaturperiode haben CDU, Grüne und SPD in ihren Wahlprogrammen versprochen, Pädagoginnen und Pädagogen nicht mehr in die Arbeitslosigkeit zu schicken. „Wir werden die Politik beim Wort nehmen“, sagt Schneider.
Esther Geißlinger, freie Journalistin
*BA-Studie unter: http://statistik. arbeitsagentur.de/Navigation/ Statistik/Arbeitsmarktberichte/ Branchen-Berufe/Branchen- Berufe-Nav.html
Der Beitrag erschien in der E&W 03/2016
Foto: E&W 03/2016