In einem dringenden Appell an die Gewerkschaften und die demokratische Öffentlichkeit haben 29 Gewerkschaftskolleg_innen aus der Türkei, größtenteils geflüchtete Mitglieder der GEW-Partnergewerkschaft Egitim Sen, zum Protest gegen die militärischen Angriffe des türkischen Staats auf Efrîn/Nordsyrien und zur Solidarität mit der Bevölkerung und den Verteidigungskräften aufgerufen. Gemeinsam mit ihnen verurteilen wir den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Selbstverwaltungsregion Nordsyrien.
Seit der Verteidigung Kobanês gegen die Angriffe des sog. IS engagieren sich bundesweit mehrere Initiativen in Solidaritätsprojekten mit Kobanê, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Als Mitinitiatorin der "Globalen Bildungskampagne" tritt die GEW für die Verwirklichung des Rechts auf Bildung weltweit ein. Als Trägerorganisation des Projekts "Schule ohne Rassismus" fördert sie die Verankerung von Diversität und Gleichwertigkeit als pädagogische und gesellschaftliche Grundgedanken an den Schulen. Daraus haben sich zahlreiche Bezugspunkte zum Aufbau der Schulen und zur demokratischen und diversitätsbasierten Neugestaltung des Bildungswesens in der Föderation Nordsyrien entwickelt und bundesweit werden Bildungsprojekte mit Kobanê durch verschiedene Ausschüsse und Landesverbände der GEW unterstützt.
Doch immer deutlicher werden die Grenzen sichtbar, an die die praktische Realisierung dieser Solidarität stößt. Der auf dem Grundsatz eines demokratischen und multiethnischen Zusammenlebens basierende Aufbau in der Föderation Nordsyrien wird nicht nur schon seit langem durch Grenzschließungen und die ständig präsente militärische Bedrohung vor Ort behindert. Zunehmend wird auch die duldende und unterstützende Rolle der bundesdeutschen Regierungspolitik deutlich.
Mitte letzten Jahres wurde im Rahmen eines Solidaritäts- und Schulpartnerschaftsprojekts mit Kobanê eine Gruppe von Lehrkräften aus Nordsyrien nach Deutschland eingeladen, um zukünftige Themen und Formen des Austausches zwischen Schüler_innen und Lehrkräften zu beraten. Trotz breiter öffentlicher Unterstützung des Projekts erhielten die Lehrkräfte aus Nordsyrien, nach einem entwürdigenden Umgang im Antragsverfahren, von der zuständigen Deutschen Botschaft keine Einreiseerlaubnis. Mehrere GEW-Landesverbände protestierten entschieden gegen das Einreiseverbot, doch auf die an das Auswärtige Amt bzw. persönlich an Außenminister Gabriel gesendeten Protestschreiben erhielt bis jetzt niemand eine Antwort. Aktuell wird nun von Gewerkschafter_innen aus verschiedenen GEW- Landesverbänden eine eigene Delegationsreise geplant, um sich auf diese Weise persönlich über die unterstützten Solidaritätsprojekte für den Wiederaufbau der Schulen zu beraten, über die diversitätsbasierte und emanzipatorische Konzeption des Bildungswesens zu informieren und um Kontakte zu den Organisationen der Lehrkräfte aufzubauen.
Doch aktuell hat die türkische Regierung den schon lange angedrohten, völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Föderation Nordsyrien begonnen! Seit dem 20. Januar werden, mit dem Wissen und der Duldung der Regierungen weltweit, der westliche Kanton der Föderation, Efrîn, und mehrere Gebiete entlang der türkisch-syrischen Grenze militärisch angegriffen. Der türkische Staatspräsident Erdogan droht mit der Besetzung des gesamten Gebietes und der "Ausrottung" derjenigen Kräfte, die Nordsyrien weitgehend von der Herrschaft des sogenannten IS befreit haben, die Hunderttausenden der aus den umkämpften Gebieten geflüchteten Menschen Zuflucht bieten und die der Region eine friedliche und demokratische Perspektive aufzeigen.
Nur wenige Tage zuvor hat der noch amtierende deutsche Außenminister seinem türkischen Amtskollegen beim Tee die Erneuerung der freundschaftlichen Beziehungen und neue Rüstungslieferungen zugesagt. Diese Verhöhnung all derjenigen, die große Opfer für die Befreiung der Gebiete vom sogenannten IS erbracht haben und die sich für eine friedliche, diversitätsbasierte und demokratische Perspektive in Nordsyrien einsetzen, darf von den demokratischen und antirassistischen Kräften dieses Landes nicht akzeptiert werden!
Ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts hat der Bildungsdelegation der GEW-Kolleg_innen von der Reise nach Kobanê abgeraten. Aber jetzt erst recht brauchen die Bevölkerung und die Verteidigungskräfte von Efrîn, Kobanê und der Demokratischen Föderation Nordsyrien/Rojava unsere Solidarität!
Wir fordern die Deutsche Bundesregierung auf, die Duldung und Unterstützung der völkerrechtswidrigen Angriffe auf Efrîn und andere Gebiete der Föderation Nordsyrien sofort zu stoppen und sich mit einer klaren Haltung dagegen einzusetzen.
Wir fordern die Deutsche Bundesregierung auf, die Solidarität mit der Föderation Nordsyrien, die breite gesellschaftliche Sympathie und Unterstützung findet, zu fördern statt sie zu behindern.
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