Missvertrauen

Hochschule
Bildungspolitik
Unzureichende Beschäftigungsbedingungen, Klima der Angst bei den Studenten und Mittelkürzungen. – Senatorin Stapelfeld sucht auf einer GEW-Veranstaltung den „Neuanfang“

Am 30. Juni lud die GEW unter dem Titel Neuanfang in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik in Hamburg? zu einer Veranstaltung ins Curio-Haus, auf der sich Frau Dr. Dorothee Stapelfeldt, die zweite Bürgermeisterin und Senatorin der Behörde für Wissenschaft und Forschung, den Fragen eines prominent besetzten Podiums von VertreterInnen aus den Hamburger Hochschulen sowie eines interessierten Publikums stellte.

Handlungsbedarf in vielen Bereichen

Nach einer Begrüßung der rund 50 Anwesenden durch Klaus Bullan, den Vorsitzenden der GEW, führte Fredrik Dehnerdt, Sprecher der Fachgruppe, in das Thema ein und stellte fest, dass es neben den drohenden Kürzungen weitere Themen gebe, die die Hamburgische Wissenschafts- und  Hochschulpolitik in den nächsten Jahren bestimmen werden. So stünden die Novellierung des verfassungswidrigen Hamburgischen Hochschulgesetzes, die Änderung der Kapazitätsverordnung (KapVO) und auch die Einführung einer leistungsorientierten Besoldung (LOB) auf der politischen Agenda. Unter Verweis auf das SPD-Regierungsprogramm stellte er fest, dass der Hamburger Senat bei den (im Wahlkampf erhobenen) Forderungen nach einer Demokratisierung der Hochschulstrukturen sowie der Einschränkung der großen Anzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse auf  Unterstützung der GEW setzen könne. Bei aktuell im bundesweiten Durchschnitt 83 Prozent befristeten Beschäftigungsverhältnissen und einer Befristungspraxis, bei der über die Hälfte aller in den letzten Jahren abgeschlossenen Verträge im Wissenschaftsbereich kürzer als ein Jahr – und somit  noch kürzer als ein Forschungsprojekt – befristet ist, zeige sich die ‚dunkle Seite’ der schönen neuen Hochschulwelt.

,Mehr Wissen’, so die Bildungsgewerkschaft GEW, brauche zur Bewältigung ihrer Aufgaben mehr Beschäftigte und bessere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Dem aktuellen Befristungsunwesen stelle die GEW in ihrem Templiner Manifest Forderungen für eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung gegenüber – ein Aufruf, der von der Senatorin wie von bereits 7000 weiteren Personen unterschrieben werden könne.

Nach einem Statement von Frau Stapelfeldt, in dem sie auf die finanzielle Situation und die Diskussion um die tatsächliche Höhe der Kürzungen einging, stellten die auf dem Podium versammelten VertreterInnen der Statusgruppen (Studierende, Mittelbau und ProfessorInnen), des Personalrats des  wissenschaftlichen Personals sowie der Leitungsebene die Probleme aus ihrer Perspektive dar.

Erhöhung der Lehrverpflichtung und Abwertung von Erfahrungsstufen?

Iris Kaufmann, Mitglied im Personalrat des wissenschaftlichen Personals (WIPR) an der Universität Hamburg, stellte die Probleme dar, die sich in Folge des von der Vorgängerregierung verabschiedeten Gesetzes zur Einführung eines einheitlichen akademischen Mittelbaus ergeben. So könne  dieses u.a. dazu genutzt werden, die Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen Personals zu erhöhen, um somit Personalengpässe abzufangen und notwendige Neueinstellungen zu vermeiden. Zudem ging sie auf die Folgen der Umstellung vom bisherigen BAT mit Lebensalterstufen auf den TV-L mit Entgeltgruppen und Erfahrungsstufen ein. Diese Umstellung führt in der Praxis u.a. dazu, dass bei einem Arbeitgeberwechsel Berufserfahrungszeiten nicht mehr angerechnet werden, so dass der WIPR in mühseligen Auseinandersetzungen mit dem Personalamt in vielen Fällen versuchen muss,  Anerkennung der Berufserfahrung über Schlichtung und Einungsverhandelungen zu erreichen.

Studiengebühren, Studierbarkeit und freier Master-Zugang

Florian Muhl, Mitglied im Fachschaftsrat Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg und aktiv bei der GEW-Studierendengruppe kritisierte das „Klima der Angst“, das durch die Hochschulpolitik der letzten Jahre (Studiengebühren, Verknappung von Studienplätzen) geschaffen wurde und stellte Anforderungen zur grundlegenden Verbesserung der Studienbedingungen dar. So seien von der Landesregierung bspw. die Kapazitäten dafür zu schaffen, dass jede/r Bachelor-AbsolventIn im eigenen oder einem verwandten Fach einen Masterstudiengang ohne weitere Eingangsprüfung oder Zulassungsbeschränkung belegen kann.

Unbefristete Beschäftigungsverhältnisse für Daueraufgaben

Dr. Sabine Großkopf, Mitglied der Konferenz des akademischen Personals (KAP) und Vertreterin des akademischen Personals im akademischen Senat (AS) der Universität Hamburg, stellte die Probleme dar, die sich aus Perspektive des akademischen Personals aktuell ergeben. Zu ihrer Lösung  forderte sie Änderungen im Hochschulgesetz und im Wissenschaftszeitvertragsgesetz, mehr Qualifikationsstellen, eine Entfristung der Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA) und der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, die Reduktion der maximalen Lehrverpflichtung auf 12  Semesterwochenstunden (SWS) sowie die Einrichtung von mehr Dauerstellen auf allen Ebenen ein.

Verschärfung der strukturellen Unterfinanzierung

Prof. Dr. Rolf von Lüde, Mitglied der Hochschulgruppe ‚Eule der Minerva‘ an der Universität Hamburg, verwies auf den Offenen Brief der ‚Eule’ gegen die Kürzungspläne an den Bürgermeister der Stadt, der innerhalb kürzester Zeit von mehreren Hundert WissenschaftlerInnen der Universität  unterzeichnet wurde. Hierzu stellte er fest, dass die Hamburger Hochschulen bereits in den vergangenen Jahrzehnten Kürzungen haben hinnehmen müssen, gleichzeitig seien zudem die Studierendenzahlen gestiegen und aktuell noch eine Studienreform zu bewältigen, so dass die nun beschlossenen weiteren Kürzungen die bereits vorhandene strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen noch einmal verschärfen würden. Sollten die aktuellen Pläne verwirklicht werden, so drohten radikale qualitative Veränderungen in der Lehre, in der Forschung und bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Enttäuschtes Vertrauen

Prof. Dr. Michael Stawicki, Präsident der HAW Hamburg und Vorsitzender der Landeshochschulkonferenz, ging insbesondere auf die geplanten Kürzungen an der HAW ein und stellte fest, dass diese sein Vertrauen in die Zusagen von Seiten der Politik untergraben haben. Wie solle eine langfristige  Struktur- und Entwicklungsplanung gestaltet werden, wenn die Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Hochschulen und Land maximal bis zur nächsten Wahl Bestand hätten? An der HAW würden die Einsparungen zu einem deutlichen Abbau von Studienplätzen und zu einer spürbaren  Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Studierende sowie der Qualität der Lehre führen.

Offene Fragen

Im Anschluss folgte eine offene Diskussion. Frau Stapelfeld antwortete auf die gestellten Fragen, ohne dass sie dabei eventuelle Vorhaben des Senats in Bezug auf die Novellierung des Hochschulgesetzes konkretisierte oder Vorschläge machte, wie die unzureichenden Beschäftigungsbedingungen verbessert werden könnten. Von den Kürzungsplänen rückte sie nicht ab. Wenn sie zum Amtsantritt einige in die Zukunft gerichtete Maßnahmen und Eckpunkte zur Lösung der bestehenden Probleme auf ihrer politischen Agenda hatte, so hat sie diese im Rahmen der Kürzungsdiskussionen während der letzten Monate aus den Augen verloren. Dennoch nahm sie nach der Veranstaltung die Vorschläge von Seiten des Podiums – auch in schriftlicher Form – mit sich, um sie weiter zu bedenken. Auch das Templiner Manifest nahm sie mit, hat es aber (bisher) nicht unterschrieben.

Fredrik Dehnerdt
Fachgruppe Hochschule und Forschungseinrichtungen