Obwohl es für jeden sichtbar ist, dass man sich durch das 2-Säulen-Modell der Chance beraubt, Diversität zu leben, um auf diese Weise zu einer gerechteren Gesellschaft zu gelangen, wollen die SPD im Verein mit den GRÜNEN als die derzeitigen Regierungsparteien in Hamburg an einem so genannten Schulfrieden festhalten, der dazu beiträgt, die bestehende Struktur nicht nur zu zementieren, sondern der darüber hinaus sogar als Brandbeschleuniger der Segregation wirkt.
Dem frisch ins Amt gewählten Bürgermeister Tschentscher wurde wohl dieser Tage ins Ohr geflüstert, dass es wichtig sei, sich zu diesem Thema zu äußern, weil der proklamierte Schulfrieden in knapp zwei Jahren ausläuft. Auf jeden Fall eröffnete er im Vorgriff auf eine Debatte um die Schulstruktur die Diskussion in seiner ersten Regierungserklärung vor der Bürgerschaft mit den Worten: „Wir sollten den Schulfrieden nicht auslaufen lassen, denn er hat sich bewährt.“ Einen Tag zuvor hatten die GRÜNEN ohne größeren Widerstand in ihren Reihen eine eben solche Position einstimmig (!) in ihrem Landesausschuss beschlossen.
Wie kann es sein, dass diese Parteien, die allen Ernstes in ihren Programmen von mehr Bildungsgerechtigkeit sprechen, ihre Überzeugungen so leichtfertig über Bord werfen? Die Antwort ist so banal wie richtig: mit dieser Entscheidung meint man eine kompatible Lösung für die Machterhaltung gefunden zu haben!
Nun werden die so Angegriffenen sagen, dass Weitergehendes politisch nicht durchsetzbar ist, ja, einem politischen Selbstmord gleichkommt. Und dann sitzen einem da ja noch die Befürworter des G9 an Gymnasien im Nacken. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen hat man damit Wahlen gewinnen können. Aber es führt kein Weg daran vorbei, sagen zu müssen, dass man hierdurch die soziale Spaltung nicht nur perpetuiert, sondern beschleunigt. In anderen vergleichbaren Zusammenhängen spricht man dann von Verrat. Und damit an dieser Stelle nicht gleich die Argumente zum Blühen kommen, die solch eine Entscheidung rechtfertigen sollen, gilt es, zu allererst mit allerlei Vorurteilen aufzuräumen:
- Die von uns als einzige Chance auf mehr Bildungsgerechtigkeit favorisierte ‚Eine Schule für Alle‘ wird weder die Klassengesellschaft noch die Schichtzugehörigkeiten beseitigen.
- Es wird weiterhin Kinder aus bildungsnahen und bildungsfernen Elternhäusern geben.
- Die wohnortbezogene Konzentration von unterschiedlichen Einkommensgruppen, die stark mit dem jeweiligen Bildungsstand der Familien korrelieren, wird damit nicht beseitigt.
- Die kulturellen Unterschiede, vor allem die jeweilige Sprachkompetenz der Kinder aus Einwandererfamilien, lassen sich auch durch ‚Eine Schule für Alle‘ nicht ohne erhebliche zusätzliche Anstrengungen aufheben.
- Ein gewisser Zulauf zu den Privatschulen würde bei Einführung ‚Einer Schule für Alle‘ nicht zu verhindern sein, da Teile der Oberschicht sich hiervon die Wahrung ihrer Privilegien versprechen.
- Die Tatsache, dass wir als GEW jede Verbesserung der Lernsituation an allen Schularten einfordern, besonders aber Wert darauf legen, dass diejenigen Schularten – und dies ist im Besonderen die Stadtteilschule –, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind, auch entsprechend personell ausgestattet werden, heißt nicht, dass wir bereit sind, die Spaltung der Schullandschaft in Gymnasium und Stadtteilschule zu akzeptieren.
- Die unzweifelhaft gute Arbeit der Stadtteilschulen, die es unter schwierigsten Bedingungen vermochten, die Schulabschlüsse, u.a. die Abiturquote, deutlich zu steigern, sollte nicht über seelische Schäden hinwegtäuschen, die die Trennung der Kinder im 2-Säulen-Modell anrichtet.
Trotz all dieser Widersprüche halten wir an unserer Forderung für ‚Eine Schule für Alle‘ uneingeschränkt fest, weil
- die Vielfalt an Sprachen und Kulturen, die sich in einer von Migration geprägten Gesellschaft auf besondere Weise in den Schulen widerspiegelt, einen Schatz darstellt, den es zu heben gilt.
- die Trennung der Schüler_ innen nach der vierten Jahrgangsstufe auf das Gymnasium oder die Stadtteilschule bei vielen Kindern ein Trauma hinterlässt, das sie ein Leben lang begleiten wird.
- die Kränkung, erlebt als ein ‚Ich-bin-nicht-gut-genug‘, viele Kinder der Stadtteilschulen auf eine gesellschaftliche Position verweist, die die Mentalität „füge dich in dein Schicksal“ bestärkt.
- hinter der Trennung der Kinder in Begabte und Andere kulturanthropologisch nichts anderes steckt als eine vulgär biologistische und darüber hinaus sozial-darwinistische Weltanschauung, die die Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts widerspiegelt.*
- es viele ebenfalls kapitalistisch strukturierte Länder gibt, die auf eine Trennung nach Schulformen verzichten.
- das gemeinsame Lernen die Chance eröffnet, auch zukünftig friedvoll zusammenzuleben.
Die Untersuchungen, die die Richtigkeit der Position für ‚Eine Schule für Alle’ beweisen, liegen alle vor. Entscheidend ist nicht, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten wie Kinder aus bildungsnahen Familien lernen, sondern mit ihnen! Es sind allein die ideologischen Barrieren („nicht alle können nun mal oben sein“) und die materiellen Interessen der vornehmlich sozial Aufgestiegenen, die es zwar geschafft haben, im Sattel zu sitzen, auf dem sie aber eben alles andere als sicher Platz genommen haben, die den Blick auf die Vorteile ‚einer Schule für Alle‘ versperren. Es gilt letztendlich, sich die Konkurrenz vom Leib zu halten.
Das sind scheinbar die Wählerschichten, auf die es ankommt! Aber um nicht beim ‚bashing‘ bestimmter Gruppen zu verharren: Es kommt darauf an, gerade diese Menschen davon zu überzeugen, dass eine Gesellschaft nur in dem Maße überlebensfähig ist, wie sie nicht auf Ausgrenzung und Unterscheidung (Diskriminierung) setzt, sondern sich auf Werte des Humanismus wie Gleichheit und Gerechtigkeit besinnt.
Joachim Geffers
*Dies gilt nur mit Einschränkung. Im 19. Jahrhundert gab es ja nur eine schmale prozentual einstellige Elite, der so genannte ‚Höhere Bildung‘ zuteil wurde. Der Rest ging in die ‚Volksschule‘, die folglich bis Ende der 1950er Jahre weit näher dem Konzept ‚Einer Schule für Alle‘ entsprach als das, was folgte.
Der Artikel erschien in der hlz 7-8/2018