Ja, es gibt sie noch! 600 Kolleginnen und Kollegen, die 1800 Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen unterrichten und fördern. Da Eltern nach wie vor das Wahlrecht haben behinderte Kinder auch an Sonderschulen zu unterrichten, ist diese Schulform anwählbar.
Die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Eine sehr heterogene Schülerschaft, die einen sehr hohen sonderpädagogischen Förderbedarf hat, benötigt ein vielfältiges und qualifiziertes Unterrichts-. Erziehungs- und Therapieangebot. Während die Anforderungen an die Kolleginnen und Kollegen wie in allen Schulformen steigen, versuchen Schulen und Kollegien trotz des Abbaus grundlegender Standards und einer mangelnden Ausstattung der Schulen hoch professionell zu arbeiten. Sie versuchen im Rahmen von ZLV und selbst entwickelten Qualitätsverbesserungen in allen Bereichen verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden. Dies führt zu Erfolgen aber auch zu Verdichtungen, Mehrarbeit, Unzufriedenheit, Rückzug.
Einige Problembereiche im Überblick:
Arbeitsbedingungen
Die Lehrerarbeitszeitverordnung hat deutlich zu Mehrarbeit und Verdichtung an Sonderschulen geführt. Von ehemals 26 Stunden Unterricht ist die durchschnittliche Unterrichtsstundenverpflichtung auf 27 bis 29 Stunden gestiegen (ohne Berechnung der unterschiedlichen F-Zeiten). Kolleginnen unterrichten unterschiedlich viel, im Kernbereich des Unterrichtens gibt es also eine Spaltung mit entsolidarisierenden Effekten wie in anderen Schulformen auch. Die F-Zeiten reichen bei allen Schulen nicht aus, die ständig wachsenden Aufgaben zu bearbeiten. Unzufriedenheit, Arbeitsüberlastung führt zu Rückzug, Krankheit, Teilzeit, früheren Ruhestand. Die hohe Wochenarbeitszeit von 46,57 Stunden ist Raubbau an der Gesundheit der Kollegen. Die längere unterrichtsfreie Zeit kann dies nicht kompensieren.
Wichtig: Alle an Schule tätigen Berufsgruppen sind von Mehrarbeit und Verdichtung betroffen. Gemeinsam muss hier wieder aktiv gehandelt werden.
Unterricht und Förderung der Schüler
Der Unterricht und die Erziehungsarbeit hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sehr differenziert auf die sich ständig verändernde Schülerschaft einstellen müssen. Schüler mit schwersten Behinderungen, mit besonderen Verhaltensweisen und Krankheiten sowie ein notwendiges verändertes und fachlich versiertes Unterrichts- und Erziehungskonzept müssen von den Kollegen in den Blick genommen werden und umgesetzt werden. Unterricht, Erziehungsarbeit und Therapie/Pflege haben sich zur angemessen Förderung weiter entwickelt, sind anspruchsvoller geworden. Der Erwartungsdruck ist hoch (Behörde, Inspektion, Eltern, außerschulische Partner). Für die Zunahme der Aufgaben und die zu gewährleistende gute qualitative Arbeit mit den Schülern fehlen:
- Ausreichende Zeit für die Vor- und Nachbereitung aller unterrichtlicher Tätigkeiten
- Ausreichende Zeit für die außerunterrichtlichen Aufgaben und zugeteilten Funktionen
- Ausreichende Zeit für die Kooperation im Team, zwischen den Teams und innerschulisch in den Gremien und Arbeitsgruppen um Unterrichtsentwicklung im Rahmen der Schulentwicklung auch angemessen zu gestalten
- Gute und nachhaltige kostenlose Fortbildungen für alle Berufsgruppen inklusive Supervisionen
- Eine selbstbewusste und von den Schulen ausgehende Diskussion, Dialogführung und Mitbestimmung hinsichtlich der Definition von `` gutem Unterricht``, ``guter Erziehungsarbeit``, ``guter Therapie und Pflege``.
- Eine echte Anerkennung und eine wirkliche Vertrauensbasis bezüglich unserer Arbeit von Seiten der Behörde.
Ausstattungen, materielle Basis
In Hinblick auf eine sich verändernde Schule, erhöhte Anforderungen und eine multiprofessionelle Kollegenschaft haben sich die materiellen Ausstattungsmerkmale nicht verändert, im Gegenteil sogar verschlechtert. Schulen finanzieren mittlerweile fast alles aus ihren Etats, die nie inflationsbereinigt real angehoben wurden.
Durch Privatisierungen wurden Basisbereiche wie Schulbusbeförderung, Reinigung und Küchen der GTS sukzessive in private Hand gegeben. Die festen Behördenangestellten in diesen Bereichen fehlen. Im Bereich der Hausmeisterei und der Unterhaltung der Schulen fanden gravierende Veränderungen statt. Eigene selbstverwaltete Mittel wie früher fehlen und Kosten der Unterhaltung werden auf Schulbudgets übertragen.
Sonderschulen haben
- Häufig zu kleine und zu wenige Räume bei gestiegenem Raumbedarf aufgrund von Schülerzuwachs, umfangreichen Hilfsmitteln, veränderter Schülerzusammensetzung und wachsenden Personalkörper (externe Mitarbeiter, Schulbegleiter)
- Zusätzliche Angebote wie z.B. Horte ohne Ausstattung (Anschluss- und Ferienbetreuung
Trotz der Zunahme vor allen Dingen auch bürokratischer und verwaltungsbezogener Aufgaben, erhalten Sonderschulen keine weiteren Ressourcen (zum Beispiel in den Schulbüros); immer mehr Verwaltungsaufgaben (Anfragen, Statistiken, Formulare, Umstellungen) werden von Seiten der Behörde auf die Schulen übertragen. Schule arbeitet für die Behörde anstelle von der uns eigentlich zustehenden Serviceleistungen durch die Behörde. Seit der Einführung der SVS hat dieser Negativtransfer zu unseren Lasten zugenommen. Der letzte fand mit der kurzfristigen Umsetzung der Schulhorte statt.
Deprofessionalisierung, Standardabsenkung
Der Unterricht, die Erziehungsarbeit, Therapie und Pflege stellen hohe Ansprüche an die Kollegen. In allen Bereichen wird auf hohem Niveau gearbeitet. Schulen erarbeiten selbstständig Curricula, organisieren Fortbildungen, bilden im Unterricht und der Erziehung aus. Von Seiten der Behörde gibt es Vorgaben, die die Arbeit nicht real erleichtern. Sie beinhalten Aufgaben und Orientierungen (z.B. Orientierungsrahmen), die weder mit uns abgestimmt noch kritisch hinterfragt werden dürfen. Sie gelten a priori. Gleichzeitig war die Behörde seit Jahrzehnten nicht in der Lage eine angemessene und abgestimmte Bildungsplanung mit differenzierten Lehrplänen (analog zu Bayern, NRW, Brandenburg) für unsere Schulen auf den Weg zu bringen (erst jetzt zum Schuljahr 2017/2018 gibt es einen Bildungsplan für Schulen mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung). Dies gilt auch für eine Stundentafel, die eine verlässliche Grundlage für alle Beteiligten sein würde und die entsprechenden Ressourcen fachlich begründet und angemessen auch generiert. Stattdessen gibt es eine seit fast 30 Jahren nur einmal kostenneutral veränderte Schülerkopf-Zuweisung, die nie eine Anpassung inklusive Verbesserung vorsah und vorsieht. Die Klassenfrequenzen sind trotz der sich deutlich verändernden Schülerschaft unverändert geblieben. Schwerstbehinderte Schüler erhalten weniger Grundstunden als ihre Mitschüler! In allen anderen Schulformen wurden die Zuweisungen mit Lehrerstunden erhöht in dem die Frequenzen gesenkt wurden. Darüber hinaus erhalten die Sonderschulen als einzige Schulform keine Sprachförderung im DAZ-Modell bei nachgewiesenen erhöhtem Bedarf.
Die Entprofessionalisierung spiegelt sich auch in der Versorgung und Unterstützung der Schulen mit Personal für Schüler mit besonderen und erhöhten Unterstützungsbedarfen wieder.
Die Schulbegleitung nach individuellen Rechtsanspruch (SGB12) wurde zugunsten einer sog. Schullösung mit der Zuweisung von FSJ-Kräften nach einem bestimmten Verteilerschlüssel geändert. Nicht das behinderte Kind mit seinen Sorgeberechtigten kann den Anspruch geltend machen, sondern die Schule muss über die einzelne Förderplanung eine Zuweisung ermöglichen und mit den zugewiesenen Mitteln auskommen. Bei einem Zuweisungsfaktor von 1 FSJ auf 1,7 Schüler ergeben sich verständlicherweise spürbare Engpässe. Der tatsächliche Bedarf kann häufig nicht ausreichend gewährleistet werden. Es stellt sich bei dieser Unterstützung nicht nur die Frage nach Quantität, sondern auch die nach angemessener Qualität. Frühere Zivildienstleistende und jetzt FSJ sind wertvolle und auch gute Impulse einbringende Mitarbeiter. Eine Ausstattung der Schulen mit einer dritten pädagogischen Kraft, die verlässlich und professionell im Team langfristig mitarbeiten kann, wäre die nachhaltigere Alternative. Zusätzlich würden dann immer noch FSJ-Kräfte gebraucht werden.
Die Zunahme der Schüler mit schwersten Behinderungen erfordert auch ausreichend Personal im Bereich der Therapie und Pflege. Hier hat es in den letzten Jahren nie Verbesserungen gegeben. Die letzten Krankenpflegekräfte aus dem Asklepiospool sind bald ersatzlos verschwunden und die Behörde setzt insgesamt auf das Auslagern der Verantwortung für diese Aufgaben auf die Krankenkassen und Sozialhilfeträger. In der notwendigen Kooperation, die jetzt schon geleistet werden muss (mit externen Anbietern), ergibt sich wieder eine Zunahme an bürokratischen Aufgaben. Dies ist nicht gewünscht und auch keine weitere Verteilung der Aufgaben mit Kollegen mit stark abweichenden Verträgen und Arbeitsbedingungen.
Fazit: Hohe Ansprüche und Forderungen von Seiten der Behörde und Evaluationsinstanzen bei gleichzeitigem Abbau von Lehrerstunden und Standards.
Sonderschulen werden weiterhin von Eltern behinderter Kinder angewählt. Sie bieten qualifizierte Unterrichts- und Förderangebote und entwickeln sich in Hinblick auf ihre Schülerschaft und den damit verbundenen Anforderungen ständig weiter. Gleichwohl bleiben sie ein Stiefkind Hamburger Bildungspolitik. Kolleginnen und Kollegen werden deshalb im Frühsommer mit einer Initiative und Veranstaltung auf die besondere Entwicklung und notwendigen Verbesserungen in ihren Schulen hinweisen. Sonderschulen wollen kein Stiefkind Hamburger Bildungspolitik mehr sein.
Sven Quiring, Uli Hoch, Fachgruppe Sonderpädagogik/Inklusion
Foto: Inklusion by Thomas Plassmann