Hamburg ist eine reiche Stadt in einem reichen Kontinent. Auch in den letzten Jahrzehnten ist die Produktivität und Kreativität der Gesellschaft enorm gewachsen. Doch anstatt diese Möglichkeit für das Allgemeinwohl zu nutzen, ist vom jeweiligen Hamburger Senat eine Politik der Umverteilung von Unten nach Oben verfolgt worden.
Hamburg ist eine gespaltene Stadt. Der Anteil der Menschen, die arm sind, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Hinzu kommt, dass sich Armut und Reichtum nicht gleichmäßig übers Stadtgebiet verteilen, sondern sich mehr oder weniger konzentriert in Quartieren oder städtischen Regionen finden, die immer stärker gegeneinander abgeschottet sind. Neben Stadtteilen, in denen kaum Kinder aufwachsen, gibt es Stadtteile, in denen sich die Zahl dort lebender Kinder, Armut und Sozialhilfebezug, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit und Haushalte mit Migrationshintergrund konzentrieren.
Die Unterschiede zwischen den Stadtteilen schlagen sich in der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaften der Schulen nieder. Wie stark das soziale Gefälle zwischen soziodemographisch „gut situierten“ und „benachteiligten“ Einzugsgebieten innerhalb Hamburgs ist, spiegeln bereits die Daten der „Hamburger Stadtteil-Profile 2013“ wie auch der Bildungsbericht Hamburg 2014 wider. Es zeigt sich der hohe Einfluss der soziodemographischen Merkmale des Stadtteils, in dem die Schüler_innen wohnen und ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg. Die wachsende soziale Ungleichheit in Hamburg zeigt sich besonders im Schulsystem: So hängt die Höhe des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Bereich Lernen, Sprache und sozial-emotionale Entwicklung (LSE) in den vierten Klassen im Schuljahr 2016/17 stark von der sozialräumlichen Lage ab: Die LSE-Förderquote ist in Stadtteilen in schwieriger sozialer Lage am höchsten, in Stadtteilen mit sozial stabilem Umfeld aber nur minimal. In Billstedt und Wilhelmsburg liegen die Bedarfsermittlungen bei 11,5 bzw. 11,9 Prozent - und sind damit viermal höher als etwa in Eimsbüttel (3,0 Prozent) oder Altona (2,8 Prozent). An den Grundschulen und Grundschulabteilungen sind die Unterschiede beim »Förderschwerpunkt Lernen« besonders groß: Dieser ist unter den Viertklässler_innen an Schulen mit dem ungünstigsten Sozialindex (1) mit einer Quote von 7,9 Prozent fast 20mal höher als an Schulen mit dem günstigsten Sozialindex (6).
Immer mehr Kinder und Jugendliche wachsen unter veränderten Lebenssituationen heran: jedes vierte Kind in Hamburg lebt in einer Einelternfamilie, in der Alleinerziehende –in Hamburg ein Anteil von über 90% Frauen (42.000 von insgesamt 45.000) im Jahr 2011 –für die Organisation des Familienalltags, die Kinderbetreuung und die Existenzsicherung allein verantwortlich sind. Alleinerziehende Frauen und ihre Kinder unterliegen einem erhöhten Armutsrisiko. Hinzu kommt, dass vorrangig Frauen trotz hochwertiger beruflicher Qualifikationen von Altersarmut betroffen sind.
Bildung ist ein komplexer, individueller, sozialer und gesellschaftlich eingebundener Prozess. Sie bedeutet Entwicklung der Persönlichkeit, der Eigenheit, der Identität. Bildung hat nicht nur allein die Aufgabe, den Menschen das sich ständige und rapide anwachsende Wissen zu vermitteln. Sie muss besonders für Orientierung des einzelnen Menschen in der Fülle der Informationen sorgen. Durch Bildung eröffnet sich der Einzelne Zugangschancen zu Arbeit und Beruf. Als gesellschaftliches Gut bedeutet Bildung Gestaltung, nicht nur Gestaltung des eigenen Lebens, sondern auch Gestaltung der Umwelt und Gesellschaft. So ist Bildung vor allem auch eine „soziale Frage“. Doch keine noch so engagierte Bildungseinrichtung kann die sozial-räumliche Herkunft kompensieren.
In Deutschland hängt der Bildungserfolg in hohem Maße von der sozialen Herkunft der Menschen ab. Diese Tatsache belegt, dass unser Bildungssystem nicht das leistet, was seine vornehmste und verfassungsrechtlich gebotene Aufgabe in einer demokratischen und auf Teilhabe angewiesenen Gesellschaft ist: Mit seinen Mitteln Chancenungleichheit zu reduzieren.
Die staatliche Aufgabe, das Recht auf Bildung für alle zu garantieren, gerät in immer schärferen Widerspruch zu dominanten neoliberalen Wirtschaftszielen. Staatlichen Bildungseinrichtungen droht die Privatisierung bzw. die Unterwerfung unter privatwirtschaftlich organisierte Steuerung. So wird die materielle und personelle Basis (Gebäude und Flächen, Technik, Verwaltung, Bewirtschaftung, Personal etc.) zunehmend unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet oder sogar in private Hand gegeben
Das Bildungswesen in Hamburg ist durch eine deutliche Unterfinanzierung gekennzeichnet. Verstärkt wird das durch die Schuldenbremse, wegen der die aktuelle Regierung nur noch jährliche Kostensteigerungen von 0,45 Prozent zulassen will. Das wird allein durch die Inflation übertroffen, von Tarifsteigerungen gar nicht zu reden. Diese finanzpolitische Vorgabe wird zu Verschlechterung des Bildungsangebots, Personalabbau, zunehmender Arbeitsbelastung, Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse und Tarifflucht führen und hat das bereits getan. Vor diesem Hintergrund ist Hamburg mit dem Ausbau von guten Ganztagsschulen und der Umsetzung der Inklusion weiterhin finanziell komplett überfordert.
Die Entwicklung und Umsetzung schulischer Inklusion ist eine der bedeutsamsten bildungspolitischen Aufgaben unserer Zeit. Die qualitative Entwicklung einer inklusiven Unterrichts- und Schulkultur ist aber auch auf eine ausreichende personelle und räumliche Ausstattung angewiesen.
Obwohl die SPD in ihrem Regierungsprogramm von 2011 die Ausweitung der integrativen Re-gelklassen und Integrationsklassen versprochen hatte, wurden beide ab 2012 durch die Bürgerschaftsdrucksache 20/3641 schrittweise abgeschafft. Damit wurden die Bedingungen einer inklusiven Bildung massiv verschlechtert. Eltern, Gewerkschaften und Verbände kritisieren seit Jahren offensiv und öffentlich die finanzielle Unterfinanzierung der schulischen Inklusion.
Das gemeinsame Lernen in Vielfalt und die Entwicklung einer inklusiven Lern- und Schulkultur ist eine Bereicherung für alle Kinder, wenn die Schulen so ausgestattet werden, dass sie diese anspruchsvolle Aufgabe leisten können.
Die Volksinitiative „Gute Inklusion“ bietet die Chance, die notwendigen personellen und räumlichen Verbesserungen im Bereich der schulischen Inklusion durchzusetzen.
Das Ziel der Initiative, die aus engagierten Eltern, Pädagog_innen und Schüler_innen besteht, ist, die personelle und räumliche Ausstattung der schulischen Inklusion zu verbessern, damit alle Schüler_innen mit und ohne Förderbedarf ihre Potenziale im gemeinsamen Lernen entfalten können.
So ist seit 2012 z.B. die Personalressource für Schüler_innen mit speziellem Förderbedarf im Vergleich zu den abgeschafften Integrationsklassen um ein Drittel gekürzt worden. Hatte die Bürgerschaft 2012 noch mindestens drei Unterrichtswochenstunden pro Schüler_in mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotionale-soziale Entwicklung (LSE) als notwendig erachtet, werden im jetzigen Jahrgang 5 weniger als zwei Unterrichtsstunden pro Schüler_in mit Förderschwerpunkt LSE zugewiesen.
Die Forderungen der Volksinitiative beziehen sich weitgehend auf den Standard, der bereits einmal bestanden hatte. Wenn sie erfüllt werden, ist die Personalzuweisung
- für Schüler_innen mit einem speziellen Förderbedarf nicht höher als in den ehemaligen Integrationsklassen,
- mit Förderbedarf LSE so hoch, wie die Bürgerschaft es 2012 beschlossen hat,
- mit speziellem Förderbedarf in Bezug auf Therapie- und Pflegestunden nicht höher als an den speziellen Sonderschulen.
Eine gute inklusive Schule ermutigt die Kinder, stärkt ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Sie löst das individuelle Recht auf Teilhabe und hochwertige Bildung ein. Sie ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Toleranz in unserer Gesellschaft.
Sie ist ein lohnenswertes Ziel für alle Hamburger Kinder.
Sven Quiring, stellv. Vorsitzender GEW Hamburg
Bild: Thomas Plassmann