Die GEW teilt die Erklärung der Elterninitiative „Sichere Bildung für Hamburg:
Halbzeitbilanz des „Regelschulbetriebs“: Konzept des Senators versagt im Realitätstest
„Fünf Wochen nach den Sommerferien hat Hamburg seinen ersten Ausbruch des Sars-Cov-2-Virus an einer Schule. Wir hoffen von Herzen, dass keiner der vielen Infizierten oder ihrer Angehörigen ernsthaft krank wird“, kommentieren Nadja Frenz, Ines Moegling und Heiko Habbe, Sprecher*innen der Elterninitiative „Sichere Bildung für Hamburg“, die heutigen Corona-Meldungen. „Das Konzept des Schulsenators, die Hamburger Schulen wenigstens bis zu den Herbstferien im Regelbetrieb laufen zu lassen: das aber steht vor dem Scheitern.“ Die Halbzeitbilanz des Senats fällt ernüchternd aus, und der Schulsenator hat keinen Grund zum Eigenlob, wenn er mit lückenhaften Konzepten und seinem Beharren auf Regelunterricht ohne erkennbaren Plan B den Lehrkräften, Eltern und Schüler*innen das Leben erschwert.
- Die Informationspolitik des Schulsenators ist katastrophal – die Öffentlichkeit weiß weder vollständig, welche Schulen bereits durch Sars-CoV-2-Infektionen betroffen waren, noch werden, wie anderswo gute Praxis, fortlaufend und zusammenhängend Zahlen zu konkreten Infektions- und Verdachtsfällen veröffentlicht. Eltern fühlen sich dadurch sehr verunsichert und nicht ernstgenommen in der Sorge um ihre Kinder.
- Die Praxis der Gesundheitsämter ist uneinheitlich und für Eltern und Lehrkräfte oft nicht nachvollziehbar: In vorsorgliche Quarantäne geschickt werden mal ganze Klassen, oft aber nur die Sitznachbarn eines infizierten Schulkinds. Teils entscheiden zwei Gesundheitsämter unterschiedlich für Kinder in derselben Klasse, schicken den einen Sitznachbarn nach Hause, den anderen nicht. Oder Geschwisterkinder gehen bei zum Teil noch nicht getesteten Kindern in Quarantäne weiterhin zur Schule, Eltern zur Arbeit.
- Die Folgen sind nach nur 5 Wochen Schulbetrieb weit über 100 bekanntgewordene Infektionsfälle an über 65 Schulen. Hunderte Schülerinnen und Schüler sind oder waren in Quarantäne, der versprochene „Regelunterricht“ wird immer wieder unterbrochen. Und nach Rückmeldungen von Eltern funktioniert der zugesagte gleichwertige Distanzunterricht vielerorts weder für Kinder in Quarantäne, noch für die, die aus gesundheitlichen Gründen freigestellt wurden.
- Mit der Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude haben wir nun den ersten Fall eines nachgewiesenen Ansteckungsgeschehens auch in einer Schule. Mindestens 29 Schülerinnen, Schüler und Schulbeschäftigte sind infiziert, und noch weiß man nicht, wie viele es am Ende der Reihentests sein werden. Das von der Schulbehörde propagierte Kohorten-Modell mit bis zu 120 Schüler*innen zeigt, wie anfällig große Gruppen sind.
„Seit Schulbeginn sind die Infektionszahlen in Hamburg nicht zur Ruhe gekommen, steigen nach einem kurzfristigen Rückgang kontinuierlich weiter“, merkt Habbe an. „Wer die Daten des RKI verfolgt, konnte sehen, dass sich bei uns gerade auch unter Kindern im Schulalter das Virus weiter ausbreitet, und zwar in den letzten beiden Wochen mit zunehmendem Tempo.“
„Insofern ist der Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule ein mahnendes Vorzeichen dessen, was uns erwartet, wenn der vom Senator geplante Vollbetrieb der Schulen jetzt in den Herbst hinein fortgesetzt wird“, sagt Moegling. „Bei weiter steigenden Zahlen muss damit gerechnet werden, dass auch an anderen Schulen kritische Schwellen überschritten werden und es zu Ansteckungen auch innerhalb der Schulen kommt.“
„Unsere Kinder sind keine Versuchskaninchen“, mahnt Frenz. „Ebenso wenig sind es die Familien, in denen jemand wegen bestehender Erkrankungen einer Risikogruppe angehört und deshalb besonders geschützt werden muss.“
Die Initiative fordert nun dringend ein Umdenken und Umlenken vom Senat und insbesondere vom Schulsenator.
- Der Stufenplan muss angepasst und konkret gefasst werden. Es kann nicht sein, dass Hamburg erst eine Eskalation der Pandemie abwartet, bevor nachhaltige Maßnahmen zum Gesundheitsschutz ergriffen werden.
- Das „Kohortenmodell“, das ohnehin nur der Schadensbegrenzung, nicht der Prävention gilt, hat in der bisher praktizierten Form an der Heinrich-Hertz-Schule im Realitätstest versagt. Es muss aufgegeben werden zugunsten kleiner, fester Lerngruppen, wie von der Deutschen Gesellschaft für Virologie und der Nationalen Akademie der Wissenschaften empfohlen. Auch der Einsatz von Lehrkräften muss überdacht und so weit wie möglich auf kleine Einheiten begrenzt werden.
- Es muss alles dafür getan werden, dass Distanz- und Hybridunterricht möglichst bald und an allen Schulen funktionieren. Wir könnten früher darauf angewiesen sein als uns lieb ist. Dafür müssen auch die digitale Ausstattung der Schulen und die Kompetenz von Schüler*innen und Lehrkräften forciert gefördert werden.
- Es müssen dringend Standards für das Lüften als derzeit einzige im Klassenraum praktizierte Schutzmaßnahme entwickelt werden, die auch in der kalten Jahreszeit einen ausreichenden Luftaustausch gewährleisten. CO2-Ampeln können hier einen sinnvollen Beitrag leisten. Und für Räume, die baulich schwer zu lüften sind, sollten umgehend Luftreinigungsgeräte angeschafft werden.
- Die Infografiken zum Umgang mit Atemwegs-Symptomen müssen überarbeitet und klarer gefasst werden. Es kann nicht sein, dass einerseits die Eltern mit der Entscheidung alleingelassen werden, wie bei Anzeichen eines Infekts verfahren werden soll, eine laufende Nase ausdrücklich als harmlos bezeichnet wird – und der Schulsenator den Familien dann aber indirekt den öffentlichen Vorwurf macht, es seien Schüler*innen trotz Symptomen zur Schule gekommen.
Für Sie erreichbar:
Nadja Frenz, Tel. Tel. 0172-939 07 59
Ines Moegling, Tel. 0176-49 55 97 82
Heiko Habbe, Tel. 040-514 93 271
Hamburg, 9.9.2020
Elterninitiative „Sichere Bildung für Hamburg“
c/o H. Habbe, Eifflerstr. 3, 22769 Hamburg
www.sichere-bildung-hamburg.de
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