Die elf deutschen LehrerInnen trafen sich am 21. Juli 2019 zunächst ohne die israelischen KollegInnen im Österreichischen Hospiz in der Altstadt Jerusalems. Leiter der deutschen Gruppe war Franz Dwertmann aus Bremen. Das Hospiz liegt am Hang nahe dem Damaskus-Tor. Man ist also sofort mitten in der Jahrtausende alten Stadt, der immer wieder umkämpften Hauptstadt monotheistischer Religionen. Hier in den schönen, gepflegten Räumen des Hauses wohnen zu dürfen, war wirklich ein Privileg. Es gab nicht nur gutes Essen, sondern auch einen romantischen Innenhof mit riesigen Kakteen und großen Palmen, in dem man noch spät abends sitzen und den Tag ausklingen lassen konnte. Tagsüber sorgten ausgiebige Führungen dafür, dass wir die verwinkelte, enge Altstadt mit den grandiosen Bauwerken recht gut kennenlernten.
In Jerusalem blieben wir für vier Nächte, bevor wir uns anderen Reisezielen zuwandten - Bethlehem, dem Toten Meer oder der evangelisch-lutherischen Schule Talitha Kumi von Beit Jala - Palästina, um nur ein paar Anhaltspunkte zu geben.
Ich will ja nicht ausführlich über die Reise berichten, sondern etwas näher auf das deutsch-israelische Seminar eingehen, das dem Thema Holocaust in Verbindung mit Anti-Rassismus und Antisemitismus gewidmet war. Es fand vom 28. Juli bis 2. August 2019 im Hotel Grand Beach in Tel Aviv statt. Hier trafen wir die fünfzehn israelischen KollegInnen und deren Leiter Dr. Avraham Rocheli. Ich hatte eine Ausarbeitung zum Thema „Arisierung jüdischen Eigentums“ mit Ausführungen zu konkreten Fällen in den dreißiger Jahren an Hand von mir zugänglicher Literatur vorbereitet. Andere haben über Unterrichtseinheiten berichtet oder auch über Projekte z.B. ihrer Schule.
Die Israelis haben fast alle über das Thema Holocaust im Unterricht berichtet, immer aber war die eigene Betroffenheit auf intensive Art und Weise deutlich. Als Unterrichtsstoff ist z. B. die Biografie von Sally Perel: „Ich war Hitlerjunge Salomon“ allgemein bekannt. Es gab wohl unter den israelischen Kollegen niemanden, für den der Holocaust nicht in der eigenen Familiengeschichte gegenwärtig war. Das Trauma hat sich so eingegraben, dass es erst jetzt nach außen getragen, also kommuniziert werden kann.
Immerhin befinden wir uns fast 75 Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Zeit. Von den wenigen überlebenden Opfern leben aus Altersgründen wiederum nur noch wenige, so dass in der israelischen Gesellschaft die nächstfolgende Generation nach eigener Aussage schon fast zu Zeitzeugen geworden ist. Das Thema wird wohl die israelische Gesellschaft auf unabsehbare Zeit begleiten. Es ist Bestandteil der israelischen Identität. In dem gemeinsamen Erleben von Holocaust und Verfolgung findet die aus vielen Ländern zusammengeführte Gesellschaft ihr einigendes Band. Es ist das Judentum und seine Religion. In den letzten Jahrzehnten sind viele Juden aus Russland, der Ukraine, vom Balkan und auch aus Afrika nach Israel gezogen. Das lässt den westeuropäischen Einfluss stärker zurücktreten, auch sprachlich, nicht aber die deutsche Schuld.
Damit muss klar sein: Nicht wir bzw. bestimmte politische Kreise bestimmen, ob genügend Trauerarbeit geleistet wurde, sondern die Betroffenen. Und die sind mit der Bewältigung noch lange nicht am Ende, werden es vielleicht niemals sein.
Gerade - am 3. September 2019 - hat Bundespräsident Steinmeier die 94jährige Auschwitzüberlebende Anita Lasker-Walfisch mit dem deutschen Nationalpreis 2019 in Berlin geehrt und zugesagt, dass die Deutschen aktiv gegen wieder aufkommenden Antisemitismus vorgehen werden. Das ist genau der richtige Zeitpunkt angesichts des starken Wahlergebnisses der AfD in Sachsen und Brandenburg mit den bekannten Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit. Die Israelis schauen auf Deutschland, und ihr Sicherheitsbedürfnis ist groß, wen wundert’s.
Erinnerungsarbeit bleibt auch in Zukunft sehr bedeutsam. Darum ist es auch richtig und wichtig, SeniorInnen bei den deutsch-israelischen Begegnungen einzubeziehen und nicht ausschließlich jüngere, aktive Lehrer aus den einzelnen deutschen Bundesländern, wie manche das in Zukunft gerne hätten. Wie gesagt, die älteren Deutschen rücken durch die Nähe zum Geschehen auf als Zeitzeugen. Dadurch haben sie auch einen wichtigen Platz bei weiteren deutsch-israelischen Seminaren. Mit Kritik am israelischen Staat sollten Deutsche, zumal als Gäste der Israelis, jedenfalls sehr vorsichtig sein. Auf alle Fälle ist ein gutes Verhältnis Deutschlands zu Israel Bestandteil deutscher Staatsraison.
Sehr schön war es, dass sich zwischen den Deutschen und den Israelis ein freundschaftliches Verhältnis herstellte. In zwei Jahren kommen die Israelis nach Berlin. Vielleicht kann die GEW ja auch einen Tag in Hamburg organisieren.
Das Projekt existiert seit 50 Jahren und die GEW-Bund sollte weiterhin Einfluss auf die Gestaltung nehmen. Ein sehr gutes, völkerverbindendes Projekt.
Dr. Bettina Wehner-Wöbbeking (4. September 2019)